Erkennen…

…mit der Hilfe meiner von Demenz betroffenen Schwiegereltern…

Dieser Blog Artikel soll ein Mutmacher für Betroffene und deren Angehörige sein.

„Nun sind beide schon in die neuen Welten eingetaucht. Voller Dankbarkeit und tiefer Liebe für diese beiden, so wundervollen Seelen denken wir an sie.“

„Guten Morgen, es ist Zeit zum Aufstehen!“
Zu spät bemerke ich, wie scharf mein Tonfall heute ist. Wie jeden Morgen habe ich das Ziel ihn zum Aufstehen zu motivieren. Ich decke ihn ab, natürlich wehrt er sich, richtet sich mühsam auf und greift nach der zurückgeschlagenen Decke. „Ich stehe noch nicht auf. Bleib noch im Bett.“ Punkt. Eine klare Aussage. Selten sind sie geworden diese klaren Aussagen. Ich erkenne sofort, dass das für mich jetzt genau so zu akzeptieren ist. „Ich komme etwas später wieder,“ sag‘ ich zu ihm, meine Stimme klingt nun auch wieder sanfter. Ich gehe in die Küche, atme tief ein und aus und beginne damit, das Frühstück für meine Schwiegereltern herzurichten. Es ist 9:00 Uhr. Kati ist schon auf, sitzt beim Tisch und liest die Zeitung. Während ich die Brötchen ins Backrohr schiebe und den Kaffee aufstelle, beobachte ich meine Gefühle. Es sind Gefühle, der Unzufriedenheit, etwas nicht geschafft zu haben. Ich kann meinen Widerstand spüren. Den Widerstand, etwas was ich tun sollte nicht erreicht zu haben. Ganz eng fühle sich das in meiner Herzgegend an. Eng und hart. Ich bemerke auch, wie angespannt meine Gesichtsmuskeln sind. All das nehme ich aufmerksam wahr und beginne damit, ganz bewusst und tief ein und aus zu atmen. Ich kann mir selbst eingestehen wie ich mich fühle.
Ich erkenne meine Motivation Ziele zu erreichen, um ja die Ordnung und das Gewohnte beizubehalten.
Die Ordnung wäre wie folgend: 9:00 Uhr Frühstück für alle, dann ein bisschen Bewegung, am besten ein paar Runden im Garten gehen, 12:15 Uhr Mittagessen, wieder ein paar Runden im Garten gehen, dann der Mittagsschlaf, 16:00 Kaffee und etwas Süßes dazu, und so um ca. 18:00 Uhr Abendessen. Dazwischen natürlich den Haushalt in Ordnung halten mit allem was so dazu gehört, wie auch beide bei der täglichen Körperpflege zu unterstützen. Genau so wäre es optimal. Genauso ist es aber eben oft nicht.
Ich erkenne was es mit mir macht, wenn mein Schwiegervater im Bett liegen bleibt, weil er einfach ein anderes Bedürfnis hat. Er nicht aufstehen möchte. Zumindest nicht genau dann, wenn ich es gerne hätte…
Ich hab meine Pflicht nicht erfüllt – das, was ich glaube, was vermeintlich alle erwarten, hab ich nicht erreicht. Er liegt im Bett – sollte doch aber auf sein… vom Tage etwas mitbekommen… Was werden die Leute sagen… die lässt ihn einfach liegen den armen alten Mann…. die kümmert sich ja gar nicht richtig um die armen alten Menschen… Ich bin mir ganz bewusst, dass weder die Leute so über mich denken, noch jemand diese Erwartungen an mich hat… aber da gibt es eine Person, die gnadenlos mit mir ins Gericht geht. Ja genau. Ich selbst bin es, die sich so unter Druck setzt… Wieder atme ich tief durch und atme meine Gefühle ein. Ich fühle meine eigenen Verurteilungen nehme sie in mir auf, anstatt mich dagegen zu wehren, erkenne und bemerke wie meine Energie wieder zu fließen beginnt, die Verspannungen sich auch aus meinem Gesicht lösen. Eines nach dem anderen, sag ich zu mir selbst. Das Frühstück habe ich fertig gerichtet. Mit einem Lächeln auf den Lippen und in meinem Herzen serviere ich meiner Schwiegermutter das Frühstück. Meine Haltung ist jetzt viel entspannter, gelassener. Auch für meinen Schwiegervater hab ich die Brötchen schon auf den Tisch gestellt. Viel besser fühle ich mich jetzt, als ich erneut das Schlafzimmer betrete. Zusammen gerollt liegt er in seinem Bett. Ich trete zum Bett, lege eine Hand auf seine Schulter und frage ihn, ob er mit zum Frühstück kommen möchte. Ich erzähle ihm , dass seine Frau schon beim Tisch sitzt und frühstückt. Seine Augen sind geöffnet, er hört mit zu, reagiert aber nicht auf meine Worte. Jetzt ist es völlig OK für mich. „Ich komme später wieder“, wie viel entspannter und friedlicher fühlt sich jetzt die ganze Situation für mich an. „Ja, danke.“ höre ich ihn mit einem tiefen Seufzer noch sagen als ich den Raum verlasse.